Texte

Auf dieser Seite finden Sie eine Auswahl meiner Texte aus den letzten Jahrzehnten. Einige sind auch vertont in meinem Podcast „Nun zu Ihnen, meine Liebe“ zu hören oder in einem meiner Gedichtbände veröffentlicht.

ALKOHOL AUF ERDEN

Am Neustädter Bahnhof war ich zu Haus,
bei dänischen Soldaten am Pol.
Sie nennen mich auf Swingerparties Klaus.
Ich hatte nie ein Idol.

Den Oberkiefer mit Kupfer verdrahtet,
am Times Square Tonnen Lametta.
Ich habe mit kleinen Mädchen gebadet
und werde jedes Jahr fetter.

Verliess mein deutsches Herkunftsland,
die Schweine am Tegernsee.
Ich verliere gerade meinen Verstand.
Mutterkuchen, Apfelgelee.

Auf zwei Sohlen heimisch werden,
zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal.
Gott im Himmel und Alkohol auf Erden.
Im Gesicht ein bisschen fahl.

22.2.05/16.8.15

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ARIADNE AUF NAXOS

Braucht es einen Grund, sich verlassen zu fühlen?
Wen trifft die Schuld, wenn kein Herd brennt?

Ein Handstreich – und alles beginnt von vorn.
Immer wird einer der Verratene sein.

Was hat uns verbunden, Theseus?
Garn, ein Monstrum (mein Bruder),
Deine Aufgabe.

Sie ist erfüllt.
Fast.
Ohne mich bleiben die Segel Deines Schiffes schwarz.

Sich verlassen zu fühlen, braucht es keinen Grund.
Nichts schützt uns vor der wüsten Erde.

Du hattest es eilig.
Ich war noch mit dem faulen Schlaf der Frauen befasst,
als Du fortgingst.

Ich werde warten, auf dieser Insel.
Bis zur nächsten Täuschung.
Die werde ich genauso wollen, wie ich dich wollte.

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BEI DEN DREHARBEITEN ZU POLLOCK

Seine Augen.
Der Schweiss.
Das Opfersalz verbraucht.

Ihn in der Maske auf Linie bringen.
Auf den Boden.
Die Tischplatte ist aus Glas.
JETZT!

AUS AUS
Nehmt ihn in Eure Mitte.
Gebt ihm Wärme.
Im Kühlschrank ist das Bier.
Alles für Mama, Jackson!

Von den Zeugungen sehr befleckt.
Es ist vorbei.
Du wirst das nicht überleben.

AUFNAHME
Die Totale.
Dreht ihn aus der Fassung.
Wenn er noch kann: unter Glas.
Wenn er noch kann.

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BRODSKY IN VENEDIG

Die Palazzi spiegeln sich im Wasser.
Sie haben nichts zu erzählen.

In den Wintermonaten kam der Dichter aus New York,
ein russischer Jude,
Kettenraucher mit Bypässen –
wenig interessiert an den höheren Dingen.
Er schrieb über nichts anderes.

Auf San Michele wurde er beerdigt.
Seine Leiche brachte man aus Amerika hierher.
Brodsky wollte in Venedig begraben sein,
lebendig.
Natürlich gibt es Sterblichkeit für ihn.
Er kam, sich dessen zu vergewissern.

Ein deutscher Lektor mit Palazzowohnung steigt
in sein schaukelndes Motorboot.
Er hat ein paar Autoren bei sich.
Die Sonne wärmt, eine junge Dichterin lacht auf.
Sie macht sich Hoffnungen, gedruckt zu werden.
Doch der Blick auf die Lagune stimmt sie
plötzlich traurig.

Brodsky wusste, das Leben macht uns etwas vor,
zum Beispiel, dass es nicht aufhört, oder,
dass jeder sein eigenes hat.
Man kann es eine Weile dazu zwingen,
Gedichte schreiben, korrespondieren,
einen Glauben haben
und eine Frau lange lieben –
bis das Plätschern des Wassers an
den Bootsstegen alles übertönt.

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DEUTSCHE LACHMASCHINEN

Alle Länder, die keine Legende mehr haben,
sind verurteilt, an Kälte zu sterben …

(Patrice de la Tour du Pin)

Es ist, als hätten wir unsere bunten Kleider verloren,
die Troddeln,
das Wehen im Haar.
Wir können nicht schön sein.
Verloren nicht nur die Klöster, Dörfer und Städte im Osten,
nein, auch der Westen, Süden und Norden wollen uns nicht länger
angehören.

Wir verloren alle Richtungen des Himmels.
Wir verloren den Schatten, der sich scharf in den Sand schneidet,
das Drängen in den Adern,
den Stolz,
die protestantischen Choräle,
den kindlichen Glauben an unsere Kraft.

Wir verloren das blauschimmernde Gefäß
unserer Seelen.

Wir sind fassungslos.
Wir sind Lachmaschinen.
Wir sind Sterbende.

Dienstbar jedem angereisten Scharlatan.

Das rebellische Schwarz-Rot-Gold bleibt den
Märzgefallenen in Baden, Breslau und
Berlin,
ihren träumenden, delirierenden
Schädeln.

Vor einem Menschenalter wurde uns die schirmende Hand
der Vergangenheit abgehauen.
Keine Helden mehr.
Keine starken Väter.
Kein Reigen.
Den Müttern fallen die Märchen von ihren Lippen ab.
Unsere Söhne kämpfen vergebens gegen den Spott.
Schwerter aus Pappe gaben wir ihnen.

Wir können nicht schön sein.
Vor dem blankgeputzten Spiegel steht
der Deutsche.
Niemand blickt ihn an.

Wir sind keine Menschen mehr.

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DIE JUDEN VON AUSCHWITZ

Das Leiden hatten sie.
Das Sterben hatten sie.
Den Himmel nicht.
Er war ihnen auch
nicht versprochen.

Süss schmeckt der Rauch,
der von brennenden Leichen
aufsteigt über
dem polnischen Land.
Kalter, blutiger Stacheldraht
umkränzt den Tod.
Unschuldig zu sein,
erfüllt hier keinen Zweck.

Auch nicht, den Säugling
für zwei Stunden Leben
noch zu windeln.
Die junge Mutter
tut es trotzdem,
so zärtlich es nur geht.

Weisse Wolken unter der Sonne
versprachen so viel,
einst, in Deutschland.
Wandervögel sangen,
Küsse im Boot,
der jüdische Sportverein
hatte ein Haus
im Riesengebirge.
Aber dieses Land
wird es nie wieder geben.

Das Leiden hatten sie.
Das Sterben hatten sie.
Den Himmel nicht.
Birken blühen.
Nichts versöhnt hier
die Lebenden
mit den Toten.

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DIE NICHT MISCHBAREN FARBEN
DER FREIHEIT

Zerredlichkeit
Wortpest
kleine, schmutzige Hautgegrinsel

Gespräche im Kreis der Herkunftsfamilie werden
herbeigeführt
Worum geht es?
Um Zeichen
Um Zugkraft

Dem Äffchen schwindelt nie

Um Stil

Es springt von Turm zu Turm

Subordination als Basis
Die gefixten Standardlösungen waschen uns rein

Der Kontrabassist, der nicht mein Freund sein darf, lächelt
Seine Musik interessiert mich

Zur Unzeit, sagst Du, und küsst
mein Joch

Seien Musik gleicht den nicht mischbaren Farben der
Freiheit

Du bleibst!, sagst Du
hier, bei uns.

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JEDES JAHR GEHEN DIE UHREN GLEICH

(„Alles, was ich über Gott sagen kann ist,
dass er in Stettin wohnt.“
unbekannter Dichter, 18. Jahrhundert)

Welches Klischee lässt mich lachen?
Was geschieht heute, weil es morgen geschehen ist?
Glauben Sie wirklich an die Unversehrbarkeit
der Seele?
Also – mit anderen Worten – an Gott?

Gegen den Strich bürsten im Hirn.
Lahme gingen, Tote springen.
Bloss nicht die Hoffnung verlieren
(natürlich spricht alles dagegen).
Mich sicher dünken auf drei von vier Beinen.
Gewaltige Wasserhosen.

Dein Klavierspiel war schon besser.
Mir graut neuerdings vor meinem Gesicht.
Es kommt mir so vor, als litte ich unter Begriffsstutzigkeit.
Doch, der Urlaub mit den Kindern
war gelungen.

Heute ist wieder Vollmond.
Jedes Jahr ist Johann Sebastian Bach ein Jahr länger tot.
Jedes Jahr gehen die Uhren gleich.
Jedes Jahr denken wir uns etwas anderes aus.

Gott wurde seit längerem auf der
Hakenterrasse
nicht mehr gesehen.

17.8.97/28.5.02
Es Cubells, Ibiza

*Hakenterrasse (Wały Chrobrego): bekanntestes Bauensemble Stettins (Szczecins)

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KALININGRAD, BERLIN, KÖLN

Die Plattenbauten von Kaliningrad laden zum Träumen ein.
Man muss dort nicht wohnen,
man muss dort nicht gewesen sein,
man muss in diesem Zusammenhang nicht immer wieder
von Immanuel Kant reden oder
von der Geburtsstadt einer Käthe Kollwitz.

Wie wäre es mit Michail Iwanowitsch Kalinin?
Der schrieb seinen Namen, sein „Ich bin dafür“,
unter die Vorlage von Stalin, bei Katyn tausende polnische Offiziere
erschiessen zu lassen.
Polnische Leichen geben ja einem russischen Kommunisten
viel Ruhe.

Ich für meinen Teil löffle einen Teller Borschtsch im
RESTAURANT DES SIEGES am Pregelfluss,
blinzle hinüber zum deutschen Dom.
Sie haben ihn wiederaufgebaut.
Das Schloss wurde natürlich gesprengt.
Auf seinen Fundamenten steht seit Jahrzehnten
das Haus der Sowjets, eine Bauruine.

In Berlin machen die Generalkanaken längst Tabula rasa.
Sie beherrschen die Strassen von Neukölln, Moabit,
Wedding und Kreuzberg –
und die Nacht, und die Mädchen.
Das, was man hier braucht, sind Geld, Drogen und Waffen.

Der steinerne Onanist verzieht nur den Mund.
Er sieht sich umringt von lauter kleinen Kopisten,
die drei Strassenzüge weiter mit ihrem Penis spielen lassen.
Was für ein unendlicher Spaß, after work.

Ich sah Josephine Witt, Femeaktivistin,
während des Weihnachtsgottesdienstes im Kölner Dom
barbusig auf den Altar springen und schreien,
sie sei Gott.
Ich wusste es immer, Gott ist eine Frau.

Es wird eine große Kälte geben.
Es wird eine große Hitze geben.
Es gibt ein großes Verfaulen –
und die Nächte wollen, dass Du rauskommst,
daß Du von Deinem Stuhl aufstehst,
an dem Du Dein Leben lang geklebt hast.

*„Unendlicher Spass“ – aus „Hamlet“ /der Titel eines Buches von David Foster Wallace

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MARINA ZWETAJEWA

„Geschehe, Fleischwerdung der
Liebe!“

Marina Zwetajewa, sie, wahrhaftig –
in einer Welt ohne Mitleid.
Falsche Küsse, gehaucht auf Papier,
Verdunkelungen,
die leeren Probebühnen der Verweigerung,
an der Schläfe ein Revolver.

Der Zwist mit dem eigenen Himmel wich,
als die viel zu dünne Luft
sich weigerte,
Ruhestätte zu werden, Noch-Ehebett,
Zuflucht ihrer nacktesten Worte.

Aber da brannte Russland schon und
unter dem blutroten Strich des Krieges
fielen die Dichterin und so
ungezählt viele andere
ins Nichts ihrer mörderischen Heimat.

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NAZIS LIEFEN IM GEBIRGE SKI

Nazis liefen im Gebirge Ski.
Ich laufe auch im Gebirge Ski.

Nazis sangen deutsche Lieder.
Ich singe auch deutsche Lieder.

Nazis verliehen das Mutterkreuz.
Meine Frau und ich haben vier Kinder.

Nazis trugen braune Hemden.
Ich trage keine braunen Hemden.
(aber sie sind praktisch, man sieht den Schmutz nicht so)

Nazis schliefen mit Männern.
Ich schlafe nicht mit Männern.

Nazis suchten den Heiligen Gral.
Ich suche.

Nazis hatten Väter und Mütter.
Meine Eltern waren Nazis.

Nazis verachteten andere Menschen.
Ich verachte Nazis.

Nazis verloren den Krieg.
Ich verlor den Boden unter den Füßen.

Der Kommandant von Auschwitz spielte Klavier.
Meine Frau spielt auch Klavier.
Sie ist Jüdin.

Nazis bauten Raketen.
Nazis bauten Autobahnen.

Nazis vergasten Juden.
Ich vergass, dass Du Jüdin bist.

Nazis waren unbelehrbar.
Ich werde ununterbrochen belehrt.

Nazis hatten arabische Freunde.
Ich hatte auch arabische Freunde.

Sie laden mich nicht mehr ein.
Ich vergaß, dass Du Jüdin bist.

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NOTRE DAME

Von dort, wo die Erde
unter dem Gewicht des Himmels
versteinte,
vermassen sie das ganze Land.

Uns bedeutet dies nichts.
So hat der Mond begonnen,
Frankreich zu krümmen.
Vor Notre Dame eine leere Fläche.

Es ist spät geworden.
Paris wird ruhiger.
Man hat gegessen,
trinkt Wein wie immer.

„Was hast du gesagt?“—
„Ich sagte, dieser maßlose Frieden
wird uns den Krieg bringen …“

3.5.98/28.12.09
Berlin/Es Cubells

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RACHMANINOWS SYMPHONIEN

Rachmaninows erste Symphonie wurde
nach der Uraufführung verrissen.
Der Dirigent war betrunken,
das Publikum johlte.

Die zweite Symphonie schrieb er
schon im Ausland.
Russlands neue Herren hatten begonnen,
Männer wie ihn zu verfolgen.

Amerika bot ihm Exil.
Dort komponierte er seine
dritte Symphonie,
rauchte viel, sprach nur russisch.

Von einer vierten Symphonie ist mir
nichts bekannt.

3.9.04/7.5.10

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SYNTAX

Den Sinn des Lebens im Taxi suchen.
Die Kinder sind groß.
Mein Mann steht für verlässliche Liebe.
Die Bilder, die ich male, verkaufen sich gut.

Hinzugekommen sind manchmal
Rückenschmerzen,
dass Rotwein mir schadet,
rasche Ermüdung beim Schwimmen im Fluss.

Der Taxifahrer bremst. Dort steht der Hundeschlitten.

ich werde weiterkommen,
ohne Metamorphosen,
ohne die Leichtigkeit zurückzugewinnen,
ohne ekstatische Korrespondenzen,
Wucht von Wundern,
Beute,
ohne dass Gott mich anlügen muss

Um mich wiederzufinden fahre ich an
diesen einen nicht beliebigen Ort.
Das Eis muss nicht mehr halten
auf dem Weg zurück.

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WENN HÄNDE ZU ZANGEN WERDEN

Wenn Hände zu Zangen werden,
das Helle einer Frau sagt:
Verdunkle mich nicht! –
ist kein Bruch gemeint.
Die vorweggenommenen Blicke kehren einfach um,
und
die Sagung des Möglichen wird Dir
den Spott ersparen.

Nichts, was nicht zählt.
Was ist denn, für ein paar Sekunden die
sehr seltenen Goldspinnen lächeln zu sehen,
die mein Haar lösten?

Kehre ein in den Wald des Hundeschänders.
Dort wirst Du bleiben,
bis Du Unvollkommenheit erlernt hast –
Jahre ohne Echo,
unmenschliche Hitze,
das endgültige Verlernen der eigenen Sprache.

Dann komme ich zu Dir und frage:
Wer bist Du?

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